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Über Fotografie und Sehbehinderung.



Über Street Fotografie und Sehbehinderung, das Fotografieren während des Lockdowns und die Entdeckung der minimalistischen Street Fotografie.

Interview mit Bastian Roman Peter vom Swiss Street Collective


Guido Klumpe ist ein street Fotograf aus Hannover in Niedersachen, Deutschland. Er ist bekannt für seine farbenfrohen und originellen Strassenfotografien mit seinem unverkennbar eigenen Stil. Er ist ausserdem ein Mitglied der Unposed Society of Hannover, ein deutsches street photography Kollektiv.


"Links bin ich nahezu blind und rechts habe ich 25% Sehleistung, weil die Sehnerven nicht so viele Informationen an das Gehirn weitergeben. Das Bild, welches ich von der Welt habe, ist recht flächig und hat wenig Details."


Guido, als erstes vielen Dank, dass du bereit warst ein Interview zu geben für das swissstreetcollective. Ich habe mich sehr auf dieses Gespräch gefreut. Du wusstest es vieleicht nicht, aber du warst einer der allerersten street Fotografen, die ich entdeckte, als ich selber startete auf der Strasse zu fotografieren.


Herzlichen Dank für die Einladung und das Kompliment Bastian, ich freue mich sehr!




Auf deiner Website erwähnst du, dass du an einer Sehbehinderung leidest. Wenn ich deine Bilder anschaue, ist das kaum zu glauben, denn diese sind erstaunlich.

Wie hat sich diese Sehbehinderung auf dich ausgewirkt, als du damals angefangen hast?


Schwer zu sagen, da ich schon seit Geburt nicht so gut sehe. Links bin ich nahezu blind und rechts habe ich 25% Sehleistung, weil die Sehnerven nicht so viele Informationen an das Gehirn weitergeben. Das Bild, welches ich von der Welt habe, ist recht flächig und hat wenig Details.

Das kann man sich so etwa vorstellen, wie ein Internetvideo mit geringer Datenrate. Ist nur ein Mensch auf dem Video zu sehen, erkennt man viele Einzelheiten. Bei einer Menschenmenge dagegen sind die Gesichter sehr grob gezeichnet.

Oft entdecke ich auf meinen Fotografien Details, die mir sonst entgangen wären.

Durch die Fotografie sehe ich mehr von der Welt.

Jeder hat eine Vorstellung davon, wie die Szene auf dem Bild wohl aussehen wird in dem Moment, in dem man auf den Auslöser drückt. Die inneren Bilder und die Vorstellung von der Welt sind also wesentlich bei der Fotografie.

Ich vermute, je weniger man von der Welt sehen kann, desto größer ist der Effekt.

Wenn ich auf der Straße eine interessante Stelle entdecke, denke ich viel über die Komposition nach und probiere verschiedene Blickwinkel aus, bevor ich knipse. Meine Sehbehinderung macht mich definitiv zu einem langsamen Fotografen.


Täglich erlebe ich, wie mir mein Sehen einen Streich spielt. Was ich für einen Hund auf der Wiese halte, war nur eine Plastiktüte. Oder die Treppe führt nicht dahin, wie ich vermutet habe.

Das verarbeite ich spielerisch auf meinen abstrakten Fotografien: Wenn sich die betrachtende Person fragt, was wohl vorne oder hinten ist, was oben und was unten, dann freue ich mich. Das Foto funktioniert.




Mit dem Lockdown hast du angefangen, dich mehr auf minimalistische Bilder zu konzentrieren. Seit dem hast du eine unverwechselbare und sehr beeindruckende Sammlung and minimalistischen Fotos erarbeitet.

Waren die Corona Massnahmen ein kreativer Schlüsselmoment, einen anderen Weg einzuschlagen?

Definitiv! Das Wetter im März war herrlich, das Licht perfekt. Ich hatte Urlaub und richtig Bock aufs Fotografieren. Und dann kam der Lockdown.

Wir von Kollektiv „Unposed Society Hannover“ planten eine Ausstellung für August 2020 mit dem Titel „Hold the line please“. Es geht um die Straßenbahnlinien in Hannover, jedes Mitglied hat sich eine Linie ausgesucht, und geht nur entlang dieser Linie fotografieren. Die Arbeiten wollten wir auf einer Ausstellung im August präsentieren, die natürlich ausgefallen ist.

Ich ging also entlang der Schienen und langweilte mich. Es war kein Mensch draußen, obwohl man Spaziergänge machen durfte. Die Angst war zu groß.

Dann kam ich zu einer Siedlung mit bunten kubistischen Häusern und fing an, zu experimentieren. Da hat es Klick gemacht. Ich konnte förmlich spüren, wie eine innere Fessel abfiel: „Ich bin Streetfotograf. Ich mache nur Fotos mit Menschen.“

Da hat es Klick gemacht. Ich konnte förmlich spüren, wie eine innere Fessel abfiel: „Ich bin Streetfotograf. Ich mache nur Fotos mit Menschen.“


Jetzt verstehe ich mich als Fotograf, der städtische Landschaften und das Licht darin dokumentiert. Wenn es möglich ist, platziere ich Menschen in diese urbanen Landschaften, um der Szene eine humane Dimension zu geben. Das fühlt sich viel freier und kreativer an.



Das muss ein ganz besonderer Moment gewesen sein. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie gut es sich anfühlt, genau diese Fesseln zu verlieren.

Du hast einmal erwähnt, dass du in diesem Sommer begonnen hast, häufiger Teleobjektive zu verwenden. Verwendest du eine bestimmte Ausrüstung für einen bestimmten Bildstil, oder fotografierst du eher aus dem Bauch heraus?

Mittlerweile benutze ich nur noch das Fuji 16-80 F4 Objektiv (24-120mm Kleinbild).

Ich arbeite bewusst mit allen Brennweiten, da ich oft verschiedene Bildebenen im Vorder- und Hintergrund verknüpfe. Und mit der Brennweite kann ich den Effekt der Kompression für jedes Bild passend bestimmen. Das bedeutet, dass der Hintergrund bei längeren Brennweiten im selben Bildausschnitt größer erscheint. Das gibt mir mehr Kontrolle über die Komposition und Bildwirkung.

Manchmal nutze ich den Zoom auch als Fernglas. Nur um zu sehen, ob es sich lohnt auf die andere Straßenseite zu gehen. 😉


Kommen wir zurück zu den Wurzeln deiner Fotografie. Hast du deine ersten Straßenfotos jemals öffentlich gezeigt? Besonders die, die du als Teenager gemacht hast?

Ja, tatsächlich habe ich ein Foto von 1993 bei Instagram gezeigt. Da war ich sieben Monate in Südostasien, und habe die Faszination der Streetfotografie entdeckt, ohne zu wissen, dass es das Genre überhaupt gibt. Das Bild habe ich während meiner Wanderung durch das Anapurna-Gebirge in Nepal gemacht. Bei den Affen musste man ziemlich aufpassen. Sonst verschwanden nicht nur Lebensmittel aus dem Rucksack…

Das ist fantastisch. Ich habe einen ähnlichen Traum. Eines Tages muss ich nach Hongkong und an andere asiatische Orte reisen, meine Flugangst überwinden und mich als Fotograf weiterentwickeln. Das gesellschaftliche Leben, die sozialen und kulturellen Normen sind in verschiedenen Ländern, Regionen und vielleicht sogar Stadtvierteln sicherlich unterschiedlich. Ich fühle mich oft "beobachtet" oder zu "sichtbar", wenn ich Straßenfotografie mache. Hast du einen Rat für Leute wie mich?


Das Gefühl kenne ich ziemlich gut. Du hast Recht, es kann sich tatsächlich von Straße zu Straße verändern, wie auf Streetfotografen reagiert wird.

Als ich versucht habe, Leute heimlich zu fotografieren, bekam ich öfters mal Ärger. War aber nie schlimm. Ich habe mich erklärt, um Verzeihung gebeten und das Bild gelöscht.

Ich glaube, das wichtigste ist, das man sich wohl fühlt und authentisch auf der Straße bewegt.

Seitdem ich nichts mehr zu verheimlichen versuche, sondern ganz offensichtlich herumstehe und fotografiere, bekomme ich seltsamerweise keinen Ärger mehr. Ich stehe in der Menschenmenge und werde von den meisten gar nicht wahrgenommen. Fast alle Passanten haben irgendwas zu erledigen und wollen irgendwo hin und denken dabei über die Arbeit oder das Abendessen nach - und blenden alles aus, was nicht bedrohlich oder interessant ist. Je selbstverständlicher ich agiere, desto harmloser und unsichtbarer bin ich. Für manche bin ich seltsam, andere denken ich bin von der Zeitung. Wenn ich angesprochen werde, dann aus freundlichem Interesse. Es gibt also nichts Schlimmes zu befürchten, solange man nicht nachts allein im Rotlichtviertel knipst.

Wenn man jedoch sehr gute Candidfotos machen möchte, muss man cool sein und üben, üben, üben. Denn es ist wichtig, dass man auslöst, bevor man über das Foto nachdenkt. Die Kamera muss ein Teil des Körpers werden, sodass man intuitiv den Bildausschnitt, die Linien und den Blickwinkel perfekt bestimmt. Ich habs versucht- ich bin zu langsam im Sehen dafür.



Würdest du sagen, Social Media hat deine Fotografie beeinflusst?


Social media hat mich eindeutig beeinflusst. Und ich würde sagen im positiven Sinne. Nirgendwo sonst findet man so viele großartige Fotografinnen und Fotografen und Collective auf einem Platz wie bei Instagram. Und nirgendwo ist es so leicht, sich mit anderen Künstlerinnen und Künstlern auszutauschen, und neue Ideen zu entwicklen.

Es gibt vieles, was ich an Instagram kritisiere: Zum Beispiel der ganze Hype um Followers und Likes, der dazu führen kann, dass Fotografen sich wiederholen oder einen bestimmten Stil kopieren, weil es viel Likes bringt. Mich nervt auch, dass ein streng geheimer Algorithmus bestimmt, was ich sehe und was nicht.

Aber ich bin auch dankbar dafür, wie Instagram meine Arbeit voranbringt.

Es ist ein zweischneidiges Schwert. Da stimme ich voll zu.

Du bist Teil der Unposed Society Hannover, ein bekanntes Straßenfotografie-Kollektiv aus Deutschland. Kannst du uns mehr darüber erzählen?

Wir sind sieben streetbegeisterte Jungs aus Hannover, einer mittelgroßen Stadt in Norddeutschland. Uns verbindet die große Leidenschaft für Streetfotografie. Unser Ziel ist es, dieses Genre in Hannover und Deutschland bekannter und akzeptierter zu machen. Vor der Pandemie haben wir Workshops veranstaltet, Ausstellungen besucht, und uns für gemeinsame Walks in Hannover und anderen Städten verabredet. Oft waren auch Besucher aus anderen Städten dabei. 2020 war natürlich sehr ruhig. Unsere Pläne für eine „Offizielle“ und eine „Guerilla“ Ausstellung werden hoffentlich 2021 Wirklichkeit.

Man findet uns auf Instagram unter @unposed_society_hannover . Dort featuren wir täglich inspirierende Streetfotografen.


Und jetzt ganz aus heiterem Himmel: Hattest du jemals das Gefühl, die Straßenfotografie aufzugeben?

Manchmal, an schlechten Tagen. Es gab Zeiten, da fing ich an mich zu langweilen. Es fehlte mir an neuen Ideen. Ich wiederholte mich selbst. Gottseidank waren das nur kurze Phasen, die glaube ich alle mal erleben.



Da stimme ich zu. Das ist sicherlich wahr und es ist Teil des Ganzen, denke ich. Die Überwindung dieser Probleme ist Teil der Reise und der Entwicklung.

Im Moment verkaufst du einen Kalender mit deinen Fotos. Ist das ein Projekt, dass du jedes Jahr machst?

Das war eine ziemlich spontane Aktion, die ich im November 2020 zum ersten Mal gestartet habe. Und obwohl ich im Kalendergeschäft spät dran war, haben sich die Kalender gut verkauft. Das hat mich echt aus den Socken gehauen. Ich glaube, das mache ich dieses Jahr wieder, nur etwas früher!

Vielen Dank für das Gespräch Guido!

Es war mir ein Vergnügen, Bastian! Herzlichen Dank für die Einladung!


Sie finden das Interview und viele andere interessante Artikel im Blog vom Swiss Street Collective.

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